GERMAN
TCAKULOV

NÄCHSTES KONZERT

Deutschland, Karlsruhe, 08.10.2025

Dialoge ohne Worte - mit Christel Lee

Badische Landesbibliothek

„Musik existiert als Ziel.

Erst dann komme ich selbst als Person.“


VITA

Nur selten bilden Klang und künstlerisches Sein und Wollen eine deckungsgleiche Einheit. Bei German Tcakulov ist das der Fall. Sein großherziger und großzügiger, überaus seelenvoller, warmer, erdiger, farbenreicher Bratschen-Klang spiegelt zugleich eine unerhört vielfältige Geisteshaltung wider. Dieses breite Profil lebt German Tcakulov nicht nur als Musiker auf der Bühne, sondern vermittelt es genauso als Bratschen-Professor am Salzburger Mozarteum.
Ob Orchester, Kammermusik oder Solo, Barock, Klassik und Romantik, zeitgenössische Musik oder andere Künste: Für German Tcakulov gehört das alles ganz organisch zusammen. Als Künstler lebt er den Dialog zwischen Zeiten, Stilen und Genres. Dieses Sein und Wollen bestimmt von Anfang an seinen Werdegang. In Wladikawkas/Russland geboren, setzt er mit 15 Jahren das Viola-Studium an der Musik-Spezialschule des Konservatoriums bei Wladimir Stopitschew fort.
Bei ihm studiert German Tcakulov anschließend am Petersburger Konservatorium, um mit 21 Jahren nach Deutschland überzusiedeln. Sein Bachelor- und Master-Studium schließt er bei Tabea Zimmerman an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin ab. Er ist Stipendiat der Lucia-Loeser-Stiftung, gewinnt zudem Preise bei internationalen Wettbewerben und wird zu renommierten Festivals eingeladen. Von 2018 bis 2022 wirkt er als festes Mitglied beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR).
Dort arbeitet er mit Dirigenten wie Mariss Jansons, Simon Rattle, Bernard Haitink oder Herbert Blomstedt. Zu seinen Kammermusik-Partner:innen zählen Stephan Forck, Ulf Wallin, Tabea Zimmermann, Claudio Bohórquez, Stephan Pickard, Boris Garlitsky, Wen-Sinn Young, Ingolf Turban, Thomas Hoppe und Frank van de Laar. Zwischen 2017 und 2022 unterrichtet German Tcakulov an den Musikhochschulen in München sowie „Hanns Eisler“ in Berlin und ist zudem Assistent von Tabea Zimmermann. Im Sommer 2022 wird er als Professor an die Musikhochschule in Karlsruhe berufen. Seit Oktober 2024 ist er Professor für Viola am Mozarteum in Salzburg.

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Ein seelenvoller Klang, erdig und warm grundiert, auch geheimnisvoll und dunkel, weit und tief, überaus farbenreich: Das zeichnet den Bratschenklang von German Tcakulov in ganz besonderer, ureigener Weise aus. Er scheint mit der und durch die Viola buchstäblich zu singen und zu sprechen. In seinem Spiel herrschen Farbgebungen vor, tannengrün oder braun, die in seiner Heimat vorherrschen: im Kaukasus. Er stammt aus Wladikawkas in Nordossetien-Alanien. Laut Namen beherrscht diese Großstadt den Kaukasus.

Ursprung Kaukasus

Der Kaukasus, das ist ein Hochgebirge zwischen Europa und Asien mit gewaltigen Berggipfeln, unendlichen Weiten und dichten Wäldern, überreich zudem an Sprachen und Kulturen. Hier wächst German auf und findet auf Umwegen zu seinem Instrument: die Bratsche. Wie so oft verläuft dieser Weg auch bei ihm über die Geige, aber: „Eigentlich wollte ich schon sehr früh Bratsche spielen“, verrät German. „In Russland gibt es jedoch keinen Bratschenunterricht für Kinder wie in Westeuropa, jedenfalls nicht an öffentlichen Musikschulen.“
Ganz am Anfang ist indessen das Klavier. „Wir hatten ein Klavier zu Hause, und meine Mutter spielte immer gerne Musik. Mit sieben Jahren habe bei ihrer früheren Lehrerin Klavierunterricht genommen. Ich fand das Instrument aber bald ziemlich langweilig, zu mechanisch. Es hat mir keinen Spaß gemacht.“ Mit seiner Mutter besucht German gleichzeitig Konzerte in der Philharmonie von Wladikawkas. Für die Philharmonie schwärmt German noch heute.
„Das war eine alte deutsch-lutherische Kirche, die zu Sowjetzeiten umgebaut wurde zu einem Konzertsaal. Ihre Akustik zählt zu den besten in ganz Russland.“ In diesem Rahmen lauscht German als Kind den Philharmonikern von Wladikawkas. Eines Tages erklingt die Fünfte Sinfonie von Ludwig van Beethoven. „Als das Fugato im ersten Satz einsetzte, konnte ich spüren, wie die Stühle vibrierten. Ich war vor allem fasziniert von den tieferen Klängen, den Vibrationen und Schwingungen.“
Auch rein optisch findet German die Streichinstrumente wunderschön. „Es war mir absolut egal, ob Geige, Bratsche, Cello oder Kontrabass, Hauptsache Streicher. Die Bögen auf den Saiten: Das hat mich sofort beeindruckt. Ich war acht Jahre alt, und von da an habe ich davon geträumt, selbst ein Streichinstrument zu spielen.“ Schon bald erfährt German, dass sein Großvater mehrere Instrumente gespielt hat. „Meine Mutter erzählte mir, dass wir auch eine Geige zu Hause hätten. Die habe ich irgendwo entdeckt und an mich genommen.“
Die Violine hatte keine Saiten, keinen Steg, nichts, nur der Korpus und ein Bogen. „Ich fand sie aber wunderschön, ein altes deutsches Instrument aus Sachsen. Ich stand vor dem Spiegel und habe so getan, als ob ich spielte. Es kam kein Ton, aber ich habe den Bogen hin und her in der Luft gestrichen. Ich war so fanatisch, dass ich unbedingt Geige spielen wollte. Ich habe meine Eltern total genervt und immer und immer wieder gesagt, dass ich Geige spielen möchte. Aber ich hatte ja schon mit Klavier angefangen und nach zwei, drei Monaten wieder aufgehört.“

Klavier – Violine – Bratsche

Seine Mutter wartet also ab und rechnet damit, dass ihr Sohn die Geige wieder vergisst – wie zuvor das Klavier. Doch wenig später mischt sich der Vater ein, weil sich sein Sohn so intensiv und fortwährend mit der Geige beschäftigt. „In meiner freien Zeit habe ich Geigen aus Papier gebastelt, auch Celli, verschiedene Instrumente – ein kleines Orchester aus Papier.“ Privatunterricht? Daran ist gar nicht zu denken, viel zu teuer für die Familie. Die Mutter geht kurzerhand mit ihrem Sohn zur staatlichen und damit kostenfreien Musikschule Nr. 1 in Wladikawkas. Sie selbst hatte diese Schule besucht.
„Die Direktorin stellte mir ein paar Fragen: was ich möchte und warum ich das möchte. Ich habe ihr vom Konzert und der Geige ohne Saiten erzählt.“ Die Direktorin ist baff. „Wissen Sie, ich habe in vierzig Jahren Berufserfahrung noch kein Kind erlebt, das freiwillig Geige spielen will“, sagt sie zu Germans Mutter. „Sie müssen mit der Abteilungsleiterin sprechen. Sie ist die beste Geigenlehrerin im Kaukasus.“ Gesagt, getan, nach zwei Tagen geht es zu einer älteren Dame. Eigentlich nimmt sie keine Schüler mehr auf, sagt aber zu German: „Gib mir deine Pfötchen.“
Sie prüft die Hände, spielt Töne und klopft Rhythmen, die der kleine German nachmachen soll. „Meine Mutter sagte, ich hätte unfassbar unsauber gesungen. Richtig schrecklich.“ Sie entschuldigt sich sogar für Germans Gesang, aber die Lehrerin erwidert kurz und knapp: „Ach, die Jungs sind immer langsamer in der Entwicklung.“ Also geht es mit der Geige los, doch von Anfang an ist die Lehrerin davon überzeugt, dass German zur Bratsche wechseln wird: irgendwann. Sie spricht das immer wieder an.
„Sie war sehr pragmatisch“, sagt German heute. „Ein guter Bratschist wird immer einen guten Job finden, sagte sie. Gute Geiger gebe es viele. Sie sagte mir, dass ich bei jeder Gelegenheit die Bratsche wählen sollte. Vielleicht bin ich auch deswegen Bratschist geworden, weil sie es unentwegt gesagt hat.“ Und dann kommt der Schlüsselmoment: Bei einem Konzert während der Pause sieht German erstmals hautnah eine Viola. „Ich habe heimlich die leeren Saiten angezupft, und seitdem wollte ich nur noch Bratsche spielen.“
Um den Violaklang genauer kennenzulernen, schenkt die Lehrerin ihm Schallplatten mit dem Bratschisten Yuri Bashmet. Von einer Einspielung ist German sofort gefesselt, nämlich das Violakonzert von Alfred Schnittke. „Dieser Eindruck hat mich sofort umgehauen und ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben.“ Die Tiefe, das Klangvolumen, die Wärme, das Sonore: „Als ich diesen Klang hörte, war ich total fasziniert. Wie die menschliche Stimme. Das hat mich direkt angesprochen. Mit der Geige hatte ich das nie so gefühlt.“
Der junge German stimmt prompt die Geigensaiten herunter, um die Stimmung der Bratsche zu erreichen. „Seitdem habe ich die Hälfte der Zeit mit tieferer Stimmung geübt. Das war für mich ein Traum.“ Mit zwölf Jahren möchte German schließlich ganz zur Viola wechseln, aber: Der Bratschenlehrer am College von Wladikawkas, eine Institution zwischen Musikschule und Konservatorium, möchte das nicht wahrhaben. „Es gab damals dieses Klischee, dass schlechte Geiger zur Bratsche wechseln. Er fand aber, dass ich sehr gut Geige spiele. Er konnte nicht verstehen, dass ich den Klang schöner fand.“
Auf den schlussendlichen Schritt zur Bratsche muss der junge German noch eine Weile warten, bis zur Musik-Spezialschule des Konservatoriums in St. Petersburg. „Als Kind war ich total fasziniert von dem Wort Konservatorium. Schon nach dem ersten Musikunterricht war mir eigentlich sofort klar, dass ich Musiker werden würde. Es kamen zu uns nach Wladikawkas immer wieder Studierende aus den Konservatorien in Petersburg und Moskau, um uns zu unterrichten. Ich wollte auch an einem solchen Konservatorium studieren.“

Von Wladikawkas nach St. Petersburg

Mit 13 Jahren denkt German erstmals darüber nach, nach Petersburg zu gehen. Er kennt die Stadt gut, zumal dort Verwandte der Familie leben. „Natürlich kam mir auch die Musik-Spezialschule des Petersburger Konservatoriums in den Sinn, aber ich dachte, dass ich nicht gut genug dafür sei.“ Immerhin ist es eine Schule für Hochbegabte. Hier lernten auch Mariss Jansons, Grigori Sokolov oder Mischa Maisky. „Wir hatten das gar nicht auf dem Schirm. Mit meiner Mutter bin ich nach Petersburg gefahren, zu einem College, da war ich 14 Jahre. Wir haben einen Antrag gestellt für die Aufnahmeprüfung und haben auch mit dem Direktor gesprochen.“
Aber German ist noch zu jung für das College. Er braucht noch eine Betreuung, so wie an der Spezial-Musikschule nebenan, zu der ein Internat gehört. Die Tante von German in Petersburg kennt eine Lehrerin an der Spezial-Musikschule und schaltet sich ein. Die Aufnahmeprüfungen für die Spezial-Musikschule sind eigentlich schon vorüber, aber: German spielt mit der Geige einer Lehrerin vor. Ihre Geigenklasse sei bereits voll, sagt sie. „Eigentlich möchte ich Bratsche spielen“, schießt es aus German heraus.
Die Lehrerin ist erstaunt und begeistert. „Wir haben den besten Professor für Bratsche hier, vom Petersburger Konservatorium“, sagt sie und spricht mit Wladimir Stopitschew. German spielt ihm vor, seine Mutter ist dabei. Er sagt nichts, reagiert nicht, was seiner zurückhaltenden Art geschuldet ist. Die Mutter ruft den Professor abends an, spricht mit ihm, bittet ihn. Er nimmt German auf, wollte wohl auch prüfen, wie wichtig German das ist und wie sehr die Familie dahinter steht. Das Leben in Petersburg kann beginnen.
Für German und seine Familie ist schon sehr früh klar, dass Wladikawkas nicht mehr reichen würde – dass er in eine andere Stadt gehen muss, um sich weiterzubilden. „Das haben auch Lehrer gesagt, aber es war ein Prozess. Ich musste niemanden groß überzeugen, auch meine Mutter nicht. Ihr war jedoch wichtig, dass ich unter Kontrolle bin – deswegen St. Petersburg, wo wir Verwandte hatten.“ Die ersten Jahren an der Spezial-Musikschule war German regelmäßig zu Gast bei Tante und Onkel, Cousin und Cousine.
„Natürlich hatte ich anfangs viel Heimweh, aber als ich mich erst eingelebt hatte im Internat, wollte ich gar nicht mehr weg.“ German geht auf, ist ganz in seinem Element – die Musik. Er spielt und übt, und wenn alle Probezimmer in der Spezial-Musikschule belegt sind, spielt er kurzerhand in der Waschküche – stundenlang, mitten im Trubel des Internats, den er komplett ausblendet. Die Spezial-Musikschule besucht German von 14 bis 19 Jahre, um danach direkt zum Konservatorium zu wechseln – in die Klasse seines Lehrers Wladimir Stopitschew. Er möchte German als Student weiter ausbilden, hat ihn schon zuvor zu Wettbewerben mitgenommen.

Von Petersburg nach Deutschland und Österreich

Das Studium am Petersburger Konservatorium beginnt 2009, und schon 2011 wagt German den Sprung nach Berlin, wo Tabea Zimmermann an der Musikhochschule „Hanns Eisler“ lehrt. Durch Aufnahmen im Internet und CDs entdeckt er für sich Tabea Zimmermann. „Ihre Perfektion und Klanggestaltung haben mich total fasziniert. Ich wollte nach Berlin.“ Seine Mutter kann das zunächst nicht verstehen. „Sie sagte mir, dass sie mir nicht helfen könne. Meine Eltern sind nicht reich. Sie konnte mich finanziell nicht mehr unterstützen, als sie es bereits taten.“
Aber: „Ich war davon überzeugt, dass ich es irgendwie schaffen würde. Ich wusste nicht, dass man sich in Deutschland für mehrere Musikhochschulen gleichzeitig bewerben kann – zur Sicherheit. Ich habe nur in Berlin an der ‚Hanns Eisler‛ vorgespielt.“ Es klappt auf Anhieb. Erst später begreift German, wie viel Glück er hatte. In Berlin verdient er sich zusätzlich Geld mit Straßenmusik. Bei Tabea Zimmermann schließt er sein Bachelor- und Masterstudium ab, wird überdies ihr Assistent.
Als Lehrbeauftragter unterrichtet er nicht nur an der Musikhochschule „Hanns Eisler“, sondern auch an der Musikhochschule in München. An der Isar wirkt German zudem für einige Jahre als festes Bratschenmitglied im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR), bevor er als Bratschenprofessor an die Musikhochschule in Karlsruhe berufen wird. Seit Oktober 2024 lehrt German als Bratschenprofessor an der Universität Mozarteum in Salzburg.
Auch mit dem Unterrichten hat German schon frühzeitig begonnen. Es ist ihm gewissermaßen in die Wiege gelegt, denn: Seine Großeltern mütterlicherseits und Tanten waren selber Pädagogen. „Schon mit 10 Jahren wusste ich, dass ich auch musikpädagogisch tätig sein wollte – also von Anfang an“, verrät German. Bereits mit 10 Jahren unterrichtet er in Wladikawkas Kinder, damals noch an der Geige. An der Petersburger Spezial-Musikschule kommen alle möglichen Instrumente hinzu, auch Flöte, Posaune, Klavier oder Cello.

Work in progress

„Das Schöne am Unterrichten ist, dass man selbst sehr viel für sich dabei lernt. Die Kombination aus Unterrichten und Spielen ist sehr interessant, zumal das eine Vielseitigkeit in der Musik widerspiegelt. Orchester, Kammermusik oder Solo, Barock, Klassik, zeitgenössische Musik, andere Künste: Das alles in Verbindung mit der Bratsche ist großartig. Meine Aufgabe als Professor sehe ich darin, den Horizont der Studierenden zu erweitern. Es kann nicht das einzige Ziel sein, eine feste Stelle in einem Orchester zu erhalten.“
Natürlich sei das eine „schöne Sicherheit“, aber: „Es gibt so viel mehr! Die Lehrtätigkeit und pädagogische Verantwortung für den Nachwuchs empfinde ich als größte Bereicherung in meinem beruflichen, künstlerischen Leben. Es erfüllt mich mit größter Freude, die Kenntnisse und das Wissen wie auch die Leidenschaft für die Musik, die mir selber durch große, fantastische Persönlichkeiten stets vermittelt wurden, nun selbst an die jungen Generationen weiterzugeben. Es ist ein Prozess des Suchens, des kontinuierlichen Lernens. Man bleibt nie stehen, ein ständiger Wandel – alles in Bewegung, im Fluss.“

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